18. Jüdische Kulturtage zu Berlin vom 14. bis 29.11.2004 - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Juedisches Leben



AVIVA-BERLIN.de 9/20/5784 - Beitrag vom 01.11.2004


18. Jüdische Kulturtage zu Berlin vom 14. bis 29.11.2004
Sharon Adler

Konzerte, Lesungen, Theaterabende, Filme sowie Ausstellungen sind Mendelssohn & Company gewidmet. Heimlicher Untertitel des Festivals: Wer bleibt Jude?, und Wer wird Jude?




Seit ihrem Bestehen sind die jährlich im November veranstalteten Jüdischen Kulturtage die "kulturelle Visitenkarte" der Berliner Jüdischen Gemeinde, offen für alle BerlinerInnen und ihre Gäste. Auch in diesem Jahr finden wieder mehr als 30 Konzerte, Lesungen, Theaterabende, Filmvorführungen sowie Ausstellungen statt. Sie widmen sich einem Berliner Thema: der Geschichte der Mendelssohns - einer großen deutschen Familie jüdischer Herkunft.

Familienbande und Familienbanden sind nicht ganz dasselbe.
Die Mendelssohns, denen die diesjährigen Jüdischen Kulturtage gewidmet sind, waren keine Sippe der undurchsichtigen Machenschaften, aber ein erfolgreicher, einflussreicher Clan, eng verbunden, oft abgeschottet, eine großbürgerliche Dynastie. Familienglück, Familienglanz, Familienmacht: Die strahlende und auch die kritische Erinnerung daran, dass Bankiers, Künstler, Gelehrte aus diesem Verwandtschaftsverbund über fünf Generationen Berliner, preußische, deutsche Geschichte geprägt haben, ist vom Wind des vergangenen Jahrhunderts verweht worden.

Sich nun "den Mendelssohns" zu widmen, hat dabei viele aktuelle Anlässe:

  • Vor 70 Jahren vertrieben die Nazis den Völkerrechtler Albrecht Mendelssohn Bartholdy aus seinem Hamburger Institut für Auswärtige Politik in die Emigration
  • Vor 150 Jahren starb das schwarze Schaf der Familie, der Sozialist Arnold Mendelssohn, als türkischer Militärarzt auf einem Feldzug des Krimkrieges
  • Vor 175 Jahren begann die Bach-Renaissance mit der Wiederaufführung der Matthäus-Passion durch Felix Mendelssohn Bartholdy, dessen Schwester Fanny im gleichen Jahr den preußischen Hofmaler Wilhelm Hensel heiratete
  • Vor 175 Jahren wurden in mehreren deutschen Städten erstmals karitative und bildungsfördernde Moses-Mendelssohn-Stiftungen gegründet
  • Vor 175 Jahren starb der Schriftsteller Friedrich Schlegel, den Moses Mendelssohns Skandaltochter Dorothea vor 200 Jahren in Paris, kurz nach ihrer Taufe, der ersten in der Familie, geheiratet hatte
  • Vor 200 Jahren wurde das Berliner Bankhaus J. & A. Mendelssohn von zwei Söhnen des Philosophen Moses gegründet. Einer von ihnen, Abraham, begründete im gleichen Jahr durch seine Hochzeit mit Lea Salomon die spätere Familie Mendelssohn Bartholdy
  • Vor 275 Jahren kam in Dessau Moses Mendelssohn zur Welt...

Doch geht es bei den Jüdischen Kulturtagen nicht nur um die Erinnerung an diese teils ferne Geschichte - die Auseinandersetzung mit der Familie Mendelssohn stellt auch die Frage nach jüdischer Identität: Viele Mendelssohns haben sich taufen lassen und so das religiöse Vermächtnis ihres berühmten jüdischen Stammvaters veruntreut. Trotzdem und erst recht soll dieses Festival die Mendelssohns, denen ihre Abstammung von dem Emanzipationspionier Moses immer viel bedeutet hat, an Orte der Jüdischen Gemeinde "zurückbringen" - ohne sie rückwirkend jüdischer zu machen, als sie es im Verlauf der Assimilationsgeschichte sein wollten. Daneben sucht das Festival gezielt nach "Mendelssohn-Orten", und zeigt so, wie präsent die Familie bis ins heutige Berlin ist.

Eröffnet werden die Jüdischen Kulturtage in der Synagoge Rykestraße von dem britischen Star-Cellisten Steven Isserlis, der mit so prominenten KollegInnen wie der Bratschistin Tabea Zimmermann Werke von drei Mendelssohn-Komponisten aufführt. Neben Isserlis´ künstlerischer Qualität ist hier im übrigen eine direkte Verwandtschaft zu erwähnen: Väterlicherseits stammt Isserlis von einem berühmten Krakauer Rabbi ab, der zu den Vorfahren Moses Mendelssohns zählte, mütterlicherseits ist er mit dem Synagogal-Komponisten Levandowsky verwandt, den Bankier Alexander Mendelssohn gefördert hat.

Die Reise zu historischen Mendelssohn-Orten beginnt dann in der Kalkscheune, wo Moses Mendelssohns jüngster Sohn Nathan seine letzten Lebensjahre verbrachte: hier erklingt Kammermusik seines Enkels Arnold Mendelssohn, der 1933 verstarb, in der einstigen Singakademie (dem heutigen Maxim Gorki Theater), wo neunzehn Mendelssohns aktiv waren, ist das Orchesterwerk dieses dritten, spätromantischen Komponisten der Familie zu hören. Im Grünen Salon der Volksbühne, die ziemlich genau das Terrain des ehemaligen Scheunenviertels abdeckt, wird Nathans rebellischer Sohn Arnold, der als Armenarzt am Rosenthaler Tor wirkte, mit einem Lesungs- und Liederabend gewürdigt. In der Jägerstraße am Gendarmenmarkt, wo die Mendelssohns sechs Häuser besaßen, wird die Remise des Stammhauses der Mendelssohn-Bank dem Publikum präsentiert - mit einer Ausstellung über die Bankiers, ihre Salons und ihr Unternehmen, das 1938 liquidiert wurde.
Im Berliner Ensemble wird am Samstag, 27.11.2004 mit einer Szenischen Lesung und einer Konzert-Hommage Esther Ofarims der beiden Bankierskinder Francesco und Eleonora von Mendelssohn gedacht, die als Regisseur und Schauspielerin auf Berliner Bühnen wirkten, bevor sie in die Emigration flüchteten. Und im TIPI am Kanzleramt, nahe dem historischen Standort jenes großen Stadtpalais´ Paul von Mendelssohn-Bartholdys, das den Germania-Plänen Albert Speers weichen musste, feiern die Kulturtage ihr festliches Finale: "Die lange Nacht der Mendelssohns..."

An den jüdischen Orten dieser Stadt widmen sich die Kulturtage dann dem heimlichen Untertitel dieses Festivals, den Fragen "Wer bleibt Jude?", "Wer wird Jude?" Das Identitäts-Thema taucht bei Konzerten und Filmen, bei Podiumsdiskussionen und Vorträgen auf. Das Gemeindezentrum Fasanenstraße veranstaltet zudem unter der Überschrift "Wir Kinder Mendelssohns" den "Tag der Gemeinde" - und öffnet sich so allen interessierten Gästen.

Das komplette Programm ist online unter:
www.juedische-kulturtage.org


Veranstalter:

Jüdische Gemeinde zu Berlin / Jüdische Kulturtage
Fasanenstraße 79-80, 10623 Berlin
Tel: 030-8802 8254, Fax: 030-8802 8259
Mail: jkt@jg-berlin.org
www.juedische-kulturtage.org
Leitung: Albert Meyer
Konzept und Beratung: Thomas Lackmann

Tickets und Informationen:

Eintrittkarten für die Veranstaltungen der "Jüdischen Kulturtage" sind ab sofort erhältlich an allen üblichen Vorverkaufsstellen, über die Ticket-Hotline 0180 -557 00 00 (12 ct/ Min.) sowie im Internet unter www.eventim.de. Außerdem können Karten in der Literaturhandlung, Joachimstaler Straße 13, 10719 Berlin, Tel. 030-882 42 50 erworben werden.

Die Abendkasse öffnet bei allen Veranstaltungen in der Regel 1 Stunde vor Veranstaltungsbeginn.

Für die Veranstaltungen in den Berliner Theatern erhalten Sie Eintrittskarten auch (im Berliner Ensemble ausschließlich) in den Vorverkaufskassen der jeweiligen Häuser:

  • Berliner Ensemble, Berthold-Brecht-Platz 1, 10118 Berlin
    Tel: 030-284 08 155, Fax: 030-284 08 115, Mail: theaterkasse@berliner-ensemble.de
  • Maxim Gorki Theater, Am Festungsgraben 1, 10117 Berlin
    Tel: 030-202 21 115, Fax: 030-202 21 128, Mail:ticket@gorki.de
  • Deutsche Oper Berlin, Theaterkasse, Bismarckstraße 35, 10627 Berlin
    Tel: 0700-673 723 75 46, Fax: 030-34 38 455, Mail: info@deutscheoperberlin.de
  • TIPI - das Zelt am Kanzleramt, Große Querallee, 10557 Berlin
    Tel: 0180 - 3279358, Fax: 030-39838436, Mail: karten@tipi-das-zelt.de
Karten für die Filmreihe der Jüdischen Volkshochschule im Kino Arsenal sind an der Kinokasse erhältlich, telefonische Vorbestellungen sind unter 030-2695 5100 möglich.


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Beitrag vom 01.11.2004

Sharon Adler